Virtual Reality in der universitären Ausbildung im Ingenieurswesen - ViRAI
2020-2023, gefördert durch:
Überblick
Im Projekt Virtual Reality in der universitären Ausbildung im Ingenieurwesen (ViRAI) werden neue Möglichkeiten entwickelt und erprobt, VR-Technologie in die Ingenieursausbildung zu integrieren. Anders als in etablierten darstellenden oder anleitenden Lehransätzen benutzen Studierende VR hierbei nicht als Lern-, sondern als Arbeitsmedium. Das bedeutet, dass Studierende auf die erwartete Verbreitung von VR als Werkzeug in der Arbeit von Ingenieurinnen und Ingenieuren vorbereitet werden.
Umgesetzt wird das Konzept in zwei Lehrmodulen an der Universität Stuttgart:
Modul »Grundzüge der Produktentwicklung«
Modul »Virtuelles Engineering«
Modul »Grundzüge der Produktentwicklung«
Das Grundlagenmodul »Grundzüge der Produktentwicklung I/II« umfasst neben der Vorlesung zwei studentische Entwicklungsprojekte. Jeweils über den Zeitraum eines Semesters entwickeln die Studierenden in Sechsergruppen ein Zahnradgetriebe (Wintersemester) bzw. ein neuartiges Produkt anhand eines Lastenhefts (Sommersemester).
Ausgangslage
Vor ViRAI wurden die Konstruktionen in einem 3D-CAD-System mit Bildschirm- und Mausinteraktion angefertigt. Dabei arbeiten die Studierenden meist in den Hauptachsenansichten. Viele der in der Übung gemachten Konstruktionsfehler sind auf ein mangelhaften räumliches Verständnis zurückzuführen. Die Studierenden haben keine Möglichkeit einer eigenen immersiven Überprüfung. Korrekturen werden von Tutoren vorgenommen.
Fortschritte durch ViRAI
Zu Semesterbeginn lernen die Gruppen die VR-Hardware (HMD) sowie die für die Übung entwickelte VR-Anwendung kennen. Dabei werden sie von einem Tutor unterstützt. In der Planungsphase werden unter anderem die Randbedingungen der Entwicklung präzisiert. Erste Konzepte können mittels 3D-Skizzen in den Raum skizziert und die Skizzen für die Nutzung am eigenen Rechner exportiert und in 3D-CAD zu Entwürfen weiterentwickelt werden.
In weiteren VR-Sitzungen werden die Ergebnisse überprüft. Zu diesem Zweck interagieren die Studierenden in der virtuellen Umgebung mit ihrer Konstruktion, indem sie Bauteile in Baugruppen oder unabhängig voneinander bewegen, um unter anderem Funktion, Freigängigkeit und Montierbarkeit zu kontrollieren.
Auch Ergonomieuntersuchungen sind möglich, da die Bauteile sowie die Umgebung virtuell im Maßstab 1:1 vorliegen. Tutoren nehmen bei den Untersuchungen eine Begleitrolle ein, wobei sie zwar auf Untersuchungsmöglichkeiten hinweisen, jedoch keine fertigen Lösungen oder vorgegebenen Abläufe anbieten. Dadurch wird eigenständiges Arbeiten bei den Studierenden gefördert und die selbstständige Fehlererkennung und -verbesserung vermittelt.
Evaluierung
Während des dreijährigen Projektzeitraums wurde das Lehr-Lernkonzept mit insgesamt 155 Studierenden des Studiengangs Technologiemanagement erprobt. Diese nahmen 44 VR-Sitzungen am Institut wahr. Die Corona-Pandemie führte dabei zu deutlich weniger VR-Sitzungen als zunächst erwartet.
In knapp 77% aller Sitzungen (34 von 44) konnten Konstruktionsfehler gefunden werden und in ebenso vielen Terminen konnten die Studierenden und Tutoren konstruktive Erfolge verzeichnen. Die VR-Sitzungen sind also effektiv.
Jedoch konnten keine Verbesserungen der finalen Konstruktionsabgaben gemessen werden (Fehlerhäufigkeit je Student), die auf die Nutzung der VR-Technologie zurückzuführen wären.
Auch ist kein signifikanter Unterschied der Effektivität von VR-Sitzungen und konventionellen Präsenzsprechstunden ohne VR festzustellen.
Dennoch äußerten sich die meisten Studierenden in offenen Interviews - durchgeführt vom LUI der Universität Tübingen - positiv zu den VR-Sitzungen.
Zwar wurden Präsenztermine im Rahmen der Lehrveranstaltung auch während der Pandemie gestattet, jedoch kritisierten die Studierenden den Aufwand für die Anreise im Onlinebetrieb der Uni.
Verstetigung
Insgesamt überwiegen die positiven Erfahrungen bei Lehrenden und Lernenden, weshalb das Lehr-Lernkonzept auch hier weitergeführt und verstetigt wird.
Modul »Virtuelles Engineering«
Im Rahmen des Moduls »Virtuelles Engineering« lernen pro Semester 15 bis 30 Master-Studierende aus Ingenieursdisziplinen die Verwendung immersiver Methoden und Technologien im Ingenieurswesen. In einer Übung führen sie dazu kollaborativ und selbstbestimmt ein Visualisierungsprojekt durch.
Ausgangslage
Vor ViRAI entstanden Animationsvideos oder 3D-Spiele als Ergebnis, die an monoskopischen visuellen Ausgabegeräten wie Bildschirmen und Projektionen präsentiert wurden. Das stereoskopische immersive Erleben, obwohl Lerninhalt in der Vorlesung, kam zu kurz.
Fortschritte durch ViRAI
In ViRAI wurde sowohl die Vorlesung als auch die Übung weiterentwickelt. Die Master-Studierenden lernen in der Vorlesung jetzt zusätzlich eine Game-Engine kennen und wenden sie in der Übung an. Hierfür wurden die Lehr- bzw. Lernprozesse, der Entwicklungsprozess in der Übung und die Zusammenarbeit mit VR-Laboren weiterentwickelt. Insbesondere entstand eine Pipeline aus frei zugänglicher Modelliersoftware und Gameengine. Sie ermöglicht den Studierenden das immersive Erlebnis des eigenen Arbeitsergebnisses mit gängigen „VR-Brillen” (HMD) aber auch mit stereoskopischen Bildschirmwänden und Projektionsräumen (CAVEs).
Verstetigung
Die Ergebnisse wurden in ViRAI inkremental entwickelt und in den Lehrbetrieb integriert. Im Sommersemester 2022 wurde der vollständige Prozess mit guter Akzeptanz bei Studierenden und VR-Labormitarbeitern nach Corona in Präsenz erprobt.
Die Ergebnisse sind im Lehrbetrieb verstetigt und werden weiterverwendet und weiterentwickelt.